
Im Spannungsbogen zwischen dem performenden KI-Ich (online) und dem verkörperten Ich (offline).
Wer bin ich, wenn alles, was sichtbar ist, durch KI geformt wurde?
Diese Frage stellte ich unlängst in einem Workshop zu Custom GPTs – und stieß auf Ratlosigkeit.
Nicht, weil die Frage unklar war. Sondern, weil sie nicht in das Raster der anwesenden Optimierungslogik passte. Dort ging es um das Wie – ich fragte nach dem Wozu. Dort ging es um Tools – ich sprach vom Selbst.
Die Inszenierung des Ichs – powered by GPT
Wir leben in einer Zeit, in der KI uns erlaubt, das eigene digitale Abbild präzise zu kuratieren. Unsere Sprache wird feiner, unsere Inhalte strukturierter, unsere Außenwirkung beeindruckender – KI macht uns klarer, souveräner, vermarktbarer. Doch diese Hochglanzpräsenz hat einen Preis. Denn was, wenn das, was wir online verkörpern, nicht mehr mit dem übereinstimmt, was wir offline sind? Was, wenn unser GPT besser verkauft, besser formuliert, besser verhandelt als wir selbst?
Was, wenn wir nur noch das Echo unserer eigenen KI sind?
Wenn Wirkung nicht mehr aus Präsenz kommt
Ein besonders kritischer Punkt zeigt sich in der Logik sogenannter hybrider Sales Calls (Kombination aus digitalem und persönlichem Vertrieb). Zuerst spricht das GPT – filtert, verführt, formt Erwartungen. Dann kommt der Mensch – oft nur noch als lebendiger Abschlussmechanismus. Aber was geschieht, wenn die verkörperte Präsenz diesem digitalen Vorspiel nicht standhält?
Es entsteht eine Wirkung, die nicht mehr die eigene ist, sondern künstlich vorgewärmt. Der Mensch wird zur Fußnote – nicht mehr das Zentrum, sondern der Nachsatz. Und das Risiko: Enttäuschung in der echten Begegnung, weil das Bild nicht trägt, das zuvor erzeugt wurde.
Die Spaltung des Selbst
Hier beginnt ein inneres Zerreißen. Ich bin nicht mehr der, für den man mich hält – ich bin nur das Echo meiner selbst. Diese Spaltung zwischen dem performenden Ich (online) und dem verkörperten Ich (offline) ist kein technologisches Problem, sondern ein existenzielles.
Sie verweist auf eine tiefere Frage:
Wie bleibe ich kongruent in einer Welt, die mir ständige Selbstoptimierung abverlangt?
Die verdrängte Schattenseite der KI-Euphorie
Was ich in jenem Workshop gespiegelt habe – und was vielen unangenehm war, war nicht ein technisches Problem. Sondern ein kollektiver Schatten. Die Gefahr, sich in einer digitalen Euphorie von der eigenen Wahrheit zu entfernen. Die Versuchung, sich über Tools zu definieren – statt über Präsenz. Die Illusion, dass Wirkung ohne Wahrhaftigkeit nachhaltig sei. Es ist bequem, Fragen wie meine zu bagatellisieren. Doch sie zeigen sich wieder – in jedem Moment echter Begegnung, in jeder Diskrepanz zwischen Schein und Sein.
Der Ruf nach Verkörperung
Was es jetzt braucht, ist nicht mehr technisches Wissen – sondern eine Ethik der Präsenz. Ein Innehalten vor der nächsten Automatisierung. Ein mutiges Fragen: Was ist das für ein Selbst, das ich gerade baue?
Und: Dient es meiner Wahrheit – oder nur meiner Wirksamkeit?
Ich glaube, es ist Zeit, dass wir aufhören, Magie zu behaupten – und anfangen, sie zu verkörpern.